Rosettenfenster

Erläutert von Diakon Hans Lenski

Ansehen und Bedeutung einer Stadt zeigte sich in ihren Bauwerken. Je „wundersamer“ ein Bauwerk war, um so größer war seine Bedeutung und damit auch die der Stadt. Die Fertigung einer Fensterrosette – aus Stein und farbigem Glas – gehörte zu den Spitzenleistungen der damaligen Zeit.

Auch unsere Rosette ist so ein Meisterwerk. Ein Werk mit zwei Gesichtern und zweierlei Maß. Innen hat die Rosette einen Durchmesser von 5,92 m und außen misst sie mit dem vorgesetzten Maßwerk 10,28 m.

Außen stellt die Rosette wohl die vergehende Zeit dar. Gebildet durch die Abbildungen von Sonne, Mond und einem steinernen 28-teiligen Kranz (vier Wochen à 7 Tage). Was vielleicht als Mahnung zu verstehen ist – denk an deine Zeit.

Innenansicht

Wer das Fenster vom Kirchenschiff aus betrachtet, blickt auf zwei bunte, sich überlagernde, schräg gestellte Kreuze aus spitzbogigen Kirchenfenstern, in deren Mitte sich eine kleine, runde Scheibe befindet.

Diese nur 52 cm große Scheibe wirkt wie die Nabe eines Rads. Sie zeigt Christus, den Weltenrichter, um den sich alles dreht. Ihn umkreisen, jeder in einer eigenen Scheibe, acht musizierende Engel. Der Charakter des Rads wird dadurch unterstrichen, dass keiner der großen Schenkelteile senkrecht steht. Alles ist gedreht, gekippt, scheint in Bewegung.

Da diese Scheibenanordnung einen Sinn haben muss, der aber nicht überliefert wurde, gibt es mehrere Erklärungsversuche. Allen gemeinsam ist: Man braucht viel Phantasie.

Interpretationsversuch

Seit mehreren Jahrzehnten sind einige Kunsthistoriker der Meinung, die Lorenzer Rosette könnte das Modell einer „Heilig Grab-(Kirche)“ sein, also der Ort, an dem Christus den Tod besiegt hat.

Dies muss erklärt werden: Legt man in Gedanken die Fensterrosette auf den Boden und klappt die bunten Fensterteile senkrecht nach oben (die Fensterspitzen nach oben zeigend), dann entsteht ein Modell mit zwei achteckigen, aufrecht stehenden, oben kuppelförmigen Wänden (Leerstellen müssen in Gedanken ergänzt werden). Stellt man nun das kleinere Achteck auf das größere, erhält man ein gedachtes achtkantiges Gebäude, das die Kunsthistoriker an die kleinen Tauf- und Hl. Grabkirchen erinnert. Gestützt wird diese Theorie durch das alte Kirchensiegel von 1327, das auf „St. Lorenz zum Heiligen Grab“ lautet.

Dieses Gedankenmodell der Grabeskirche, in Verbindung mit der Drehbewegung des Fensters, lässt sich nun vom Glauben her erklären:

Bis zum Ostermorgen galt das alte Weltbild: „Mit dem Tod ist alles aus!“ – Seit Ostern kippt dieses Bild, es kommt was in Bewegung! Der Tod ist nicht mehr die letzte Macht.

Wissenswertes

Stiftung um 1360 durch Hartwig Volckamer – das älteste Glasfenster der Stadt – In den Dreiecken und Vierpassteilen sind die Evangelisten, christliche Motive, Zierformen und das Volckamer-Wappen zu sehen – der Glaskünstler ist unbekannt – ca. 10 % der farbigen Gläser sind noch die Originalscheiben – Die Scheiben leuchten besonders intensiv, durch „Lichtränder“ aus farblosem Glas (Kniff des Glaskünstlers) – 1833 Anfertigung einer Zeichnung vom Fenster – 1863 Ausbau der alten Verglasung und Einlagerung von Musterscheiben – 1865 Einbau von neugotischen Scheiben – 1943 Totalverlust derselben – 1949 Auffindung der alten Musterscheiben – Neufertigung der fehlenden Scheiben nach der Fensterzeichnung von 1833 – Am Karfreitag und am Ostersonntag, 7./ 9. April 1950, wurde das Rosettenfenster der Gemeinde übergeben.