Epitaph für Georg Rayl

Erläutert von Kirchenführerin Betty Götschel

Ölgemälde um 1494 zur Erinnerung an Georg Rayl (1452 – 1494). Der Künstler war ein Nürnberger Maler, vermutlich aus dem Umkreis Michael Wolgemuts. Vorlage war vielleicht eine Zeichnung von Dürer.

Beschreibung

Maria,

unter dem Kreuz links. Ihre Hautfarbe ist hell und zart, die vornehme Blässe des Adels. Auffallend ist ihr roter Schalkragen, ein umgedrehtes Herz. Dies drückt ihren Kummer aus. Sie blickt am Kreuz vorbei ins Leere, sehr gefasst, still verhalten in ihrem Schmerz. Ihre Hände sind über der Brust gekreuzt. Mit spitzen Fingern berührt sie grazil ihr weißes Kopftuch.

Johannes,

unter dem Kreuz rechts. Sein Gesicht ist bartlos, er ist blond gelockt, sehr jugendlich und barfuß wie bei Aposteln üblich. Auch er blickt traurig und fassungslos am Kreuz vorbei ins Leere. Seine Hände sind ratlos übereinandergelegt. Seine Haut ist gebräunt und wirkt robust, nicht seine Gemütsverfassung. Er macht eine kleine Schreitbewegung, unsicher und unentschlossen: „Wohin soll ich denn jetzt gehen? Was soll nun aus mir werden und aus den Anderen?“

Der Gekreuzigte,

in der Mitte am Kreuz. Der senkrechte Balken reicht bis zum obersten Bildrand, unten ist er eingepflockt mit Holzkeilen. Jesus hängt sterbend mit gebrochenem Blick. Die Haare sind schweißnass. Sie hängen über die rechte Schulter. Aus der Seitenwunde fließt Blut bis zu den angenagelten Füßen. Das Lendentuch ist dekorativ geschlungen. Es ist reinweiß, aber durchnässt von Blut. Ein Ende des Tuches ist kurz, das andere lang und hängt herunter bis zum Knöchel. Seine Hautfarbe ist aschfahl, in den Schattenzonen graudunkel, die Leichenfarbe, deutlich unterschieden von der Hautfarbe der Lebenden. Die Arme Jesu sind über Maria und Johannes ausgebreitet wie zum Trost und Segen. Drei gleichwertig große Heiligenscheine zeigen, dass Maria und Johannes zu Jesus gehören und in seine Erlösungstat eingebunden sind.

Georg Rayl,

der Stifter, die kleine betende Person ganz unten. Er war Vikar an der Lorenzkirche. Bekleidet ist er mit Cappa clausa und Birett.

Sein Gebetsanliegen steht auf einem Spruchband, das zum Gekreuzigten hinaufflattert:

„miserere mei domine“ (erbarme dich meiner, Herr! 50. Psalm). Sein Blick richtet sich auf den Schädel Adams, sein Gebet dagegen an Jesus am Kreuz. Er, der neue Adam, hat durch seinen Kreuzestod die Menschen von der Altlast der Schuld befreit. Sogar der Totenkopf freut sich darüber und lächelt. Ein blühender Hahnenfuß neben ihm zeigt es, die nachwachsenden Haare und ein großes Blatt, das sich liebevoll anschmiegt.

Dieses Epitaph soll an den Verstorbenen erinnern und den Betrachter dazu auffordern, an ihn zu denken, für ihn zu beten.

Der Hintergrund,

eine Landschaft, die fränkisch aussieht. In der Ferne blaue Berge, ein Fluss. Darunter eine dicht bebaute Stadt. Darüber zwei Berge, der linke natürlich, erschlossen mit Weg, Gebäuden, Kirchlein, der rechte dagegen unwirtlich und unzugänglich. Ganz rechts ein dürrer abgestorbener Baum. Lebendige Landschaft links, leblose Landschaft rechts. Unten ein wüstenartiger Weg, Steine, Knochen, Totenschädel. Das Kreuz in der Mitte steht für Leben und Tod, es trennt und verbindet die beiden Berge.

Georg Rayl hat den Tod vor Augen, aber auch das Leben danach, auf das er hofft und worum er betet.