Der Erzengel Michael

Erläutert von Kirchenführerin Marie-Louise Meyer-Harries

Historische Vorbemerkung

Als die Kirche erbaut wurde – ab 1250 – spielten Engel in der Volksgläubigkeit keine große Rolle. Deswegen finden Sie weder im Hauptschiff noch in den Seitenschiffen von St. Lorenz Engelsdarstellungen aus dieser Zeit. 200 Jahre später sah das ganz anders aus – im Chorraum wimmelt es geradezu von Engeln: als Leuchterengel, musizierende Engel in den Fenstern, im Sakramentshaus und natürlich im Engelsgruß.

Die Engelsfigur, vor der Sie stehen, wurde um 1475 wohl für einen Michaelsaltar auf der Westempore geschaffen (siehe den Erker in der Mitte der Orgelempore); spätestens 1503 wurde sie an diesen Pfeiler kurz vor dem Hallenchor versetzt. Lange Zeit wurde sie dem jungen Veit Stoß zugeschrieben, wahrscheinlich stammt sie auch aus dessen Werkstatt. Jedoch lassen kleine Ungenauigkeiten, die Veit Stoß nie unterlaufen wären, auf die Arbeit von Gesellen schließen. Zum Beispiel ist der rechte Arm etwas kürzer als der linke Arm.

Beschreibung

Diese Skulptur ist ein Engel: sie hat Flügel und unter dem Gewand sehen Sie die nackte Ferse hervorspitzen. Nackte Füße in der sakralen Kunst bedeuten, dass dieses Wesen in den Himmel gehört. Auf den ersten Blick sehen Sie vermutlich nicht den Engel des Erbarmens und der Sanftmut, der die Seelen beschützt – sondern einen starken, kämpferischen Engel. Das Schwert ist dominant – aber es dient der Abwehr, der Kleidungsärmel mit dem lockeren Faltenwurf läßt keine gewalttätige Anspannung vermuten. Michael wehrt das Böse ab; er wird deswegen oft als Drachenbekämpfer dargestellt – der Drache ist ein Symbol des unbesiegbaren Bösen. Das zeigt den Schutzengel – die wohl wichtigste Aufgabe von Engeln. Er wurde deswegen zum Schutzpatron des Deutschen Reiches, die kaiserlichen Soldaten trugen sein Bild im Banner – bei den Franzosen hießen wir deswegen „die deutschen Michel“. Der Westteil der Kirche gehörte immer zum weltlichen Imperium – zum Kaiser, der Ostteil gehörte zum Priestertum.

Die Stellung der Füße und das schwingende Obergewand bewirken eine ungeheure Dynamik. Tatsächlich ist Michael ein Macher, der ständig in Bewegung ist: Ab dem 9. Jahrhundert findet man in Buchmalereien viele der Taten von Michael dargestellt wie u.a.:

– Vertreibung des Mitengels Luzifer in die Hölle

– Begleitung von Adam und Eva aus dem Paradies

– Verhinderung von Isaaks Hinrichtung durch seinen Vater Abraham

– Abwehr der Pest im Mittelalter (sehr wichtig)

– Aufruf zum jüngsten Gericht, z.B. durch Blasen der Posaune

Seine Aufgabe als „Seelenwäger“ wurde durch eine kleine Balkenwaage in der linken Hand dargestellt, die während seiner Auslagerung im zweiten Weltkrieg verloren ging. Er selbst war beim jüngsten Gericht nur ein Helfer – er hat keine Urteile gefällt. Auf Michaelsdarstellungen mit der Waage sieht man manchmal, wie ein Teufel heimlich kleine Steine in die Waage wirft, damit auch ein paar Seelen in die Hölle kommen! Ein Hinweis auf die Problematik von Gerechtigkeit. Nehmen Sie dieses Bild des starken, gerechten, beschützenden Engels mit nach Hause und stellen sich – wie sehr viele Handwerksberufe – unter sein Patronat.

„Wer ist wie Gott? – Du, Michael!
Hilft in der Not? – Du Michael!
Gewährst uns dies, verwehrst uns das,
ins Paradies gibst Du Einlass.
Wägst unsere Seel‘ meist himmelwärts.
Du Michael, Engel mit Herz.“