Astkruzifix

Erläutert von Kirchenführer Bernhard Schneider

Geschichte

Das Astkruzifix wurde um 1430 von der Familie Heugel gestiftet und hing bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ins Hauptschiff gerichtet an dem Pfeiler östlich neben der Kanzel, hinter dem die Heugel ihre Grablege hatten. In den 1950er Jahren avancierte es zum Kanzelkreuz.

Eine Sonderform des Kreuzes

Das Astkreuz ist eine Sonderform des Kreuzes aus der Zeit der Gotik. Stamm und Querbalken sind als Äste ausgebildet oder mit Aststümpfen besetzt. Es wird in der Regel mit dem lignum vitae, dem Holz bzw. Baum des Lebens gleichgesetzt. Denn nach einer alten Legende soll das Holz des Kreuzes Christi vom Baum des Lebens im Paradies (1. Mose 2,9) stammen.

Doch wenn man dieses lignum vitae mit dem Lebensbaumkreuz auf dem Triumphbogen vergleicht, werden die Unterschiede schnell deutlich. An diesem Astkreuz ist nichts Tröstliches, nichts Hoffnungsvolles oder Lebendiges. Denn durch Einflüsse der Mystik begann man ab Mitte des 12. Jahrhunderts, die Leidensmerkmale des Gekreuzigten besonders deutlich herauszuarbeiten.

Beschreibung

So einen Kruzifixus, aus Lindenholz geschnitzt, haben wir vor uns. Ein ausgemergelter Körper, an dem jede Rippe deutlich hervortritt. Man erkennt die großen, klobigen Nägel, die durch die Handflächen und die übereinander gelegten Füße getrieben sind. Weil das stützende Fußbrett (Suppedaneum), fehlt, hängt der magere Leib schwer herab.

Der Gekreuzigte hat den Mund geöffnet, man kann Zähne und Zunge sehen. Er atmet also schwer. Die Augen sind noch geöffnet, aber das Haupt ist kraftlos zur Seite geneigt. Sein Leben geht zu Ende.

Der Gekreuzigte trägt eine Dornenkrone aus einem Tau, das in mehrfachen Windungen wie festgenagelt auf seinem Haupt liegt. Aus allen Wunden des Gemarterten fließt Blut. In Strömen, so reichlich, dass es von dem weißen Lendentuch mit dem eingefassten Rand nicht aufgesogen werden kann, fließt es aus der Seitenwunde. Als ein Soldat mit einem Lanzenstich den Tod Jesu feststellen wollte, floss aus der Wunde Blut und Wasser. Diese Wunde wird seit dem 5. Jahrhundert als „Quelle der Kirche“ interpretiert. Das Wasser aus der Wunde ist das Zeichen für die Taufe. Das Blut erinnert an die Hingabe Christi und die Eucharistie.

Aber das Kruzifix zeigt den noch lebenden, noch leidenden Christus schon mit der Seitenwunde. Dadurch soll der Eindruck des Gequält-Seins erhöht werden. Selbst das Holz erweckt durch die abrupt abgesägten Äste einen gemarterten Eindruck.

Einzig die Hände des Gekreuzigten zeigen kein Zeichen des Schmerzes, sie sind nicht gekrümmt oder verkrampft. Die Haltung der Finger erinnert eher an segnende Hände. Gesegnet sollen sein, die sich vor diesem Kruzifix in das Leiden Christi vertiefen.

Die Evangelistensymbole auf den drei Medaillons sind mit einem Tau eingefasst. Wir sehen links den Löwen als Symbol für Markus, rechts den Stier für Lukas und oben den Adler für Johannes. Das Medaillon für Matthäus fehlte schon anfangs des 19. Jahrhunderts.

Restauratoren fanden auf der Rückseite von Armen, Schultern, Rücken und Beinen zahlreiche Einstiche und Reste von Metallstiften. Aus dem Lorenzer Mesnerpflichtbuch geht hervor, dass wohl dieses Kruzifix in der Karwoche mit einem purpurnen Gewand bekleidet war, um die Lesung von der Verspottung Christi (Joh.19,2-3) zu visualisieren.