Almosenstühle der Handwerksmeister („Handwerkerstühle“)
Erläutert von Kirchenführer Thomas Rothe
Oft werden wir Kirchenführer gefragt, ob es sich bei diesen „seltsamen“, reich verzierten Stühlen um ehemalige Beichtstühle handele. Die Antwort lautet: Nein, an diesen sogenannten „Handwerkerstühlen“ wurden früher Almosen eingesammelt. Doch wie kam es zu dieser Nürnberger Besonderheit und wie wurde das Sammeln organisiert?
Geschichte der Handwerkerstühle
Schon seit 1388 stand die Armenfürsorge in Nürnberg unter der Aufsicht des Rats, nachdem Burkhard Sailer, der Stifter des sogenannten „Reichen Almosen“, den Rat als Verwalter eingesetzt hatte. 1522 vereinigte der Rat das „Reiche Almosen“ mit den sozialen Stiftungen des Georg Keyper zum „Gemeinen Kasten“ (= allgemeine Kasse) oder „Großen Almosen“. Das markiert den Beginn der reichsstädtischen (= staatlichen) Sozialfürsorge. Um den Grundstock des Almosens zu erweitern, wurde im Gottesdienst mit dem Klingelbeutel gesammelt. Nach Einführung der Reformation 1525 wurden auch die Erträge der privaten Messstiftungen dem Gemeinen Kasten zugewiesen.
Doch der 2. Markgrafenkrieg, Pestepidemien, Missernten und Inflation führten dazu, dass die Gebefreudigkeit der Gottesdienstbesucher abnahm. Die Zahl der Armen stieg und trotz Verbots und strenger Strafen nahm die Bettelei, besonders durch Kinder der Vorstädte, erheblich zu. Als eine Abhilfemaßnahme verpflichtete der Rat 1588 die Handwerksmeister, nach dem Sonntagsgottesdienst am Ausgang der Kirchen das Almosen zu sammeln. Die im Rat vertretenen Handwerksmeister hatten sich zu dieser Aufgabe “albereit gutwillig erpotten” (allbereit gutwillig erboten). Nach einiger Zeit fertigten sich die Handwerker für die Aufgabe sogar besondere Stühle an.
Das „Kirchenstuhlsitzen“ der als zuverlässig angesehenen Meister in den reich verzierten Stühlen an den Ausgängen galt als Ehrenamt und war durch „Kirchensitztafeln“ (= Dienstpläne) geregelt.
Nach Ende der „Sitzzeit“ wurde das gesammelte Geld in die Sakristei verbracht und den städtischen Almosenpflegern übergeben, die für die Verwaltung und Verteilung der Almosen an die Bedürftigen verantwortlich waren.
Die Handwerkerstühle wurden im Lauf der Jahre immer wieder erneuert und aufwändiger gestaltet, und es entwickelte sich ein regelrechter Wettbewerb, welches Handwerk den schönsten Stuhl hatte. Insignien mit Abbildungen der Produkte wiesen oft stolz auf das jeweilige Handwerk hin. Im 19. Jahrhundert wurde das Kirchenstuhlsitzen zunehmend als Last empfunden und 1866 ganz abgeschafft.
Historische Anekdote
Bei der Restaurierung eines unserer Handwerkerstühle wurde in einer Ritze ein wertloser Holzpfennig gefunden, ein sogenannter „Rechenpfennig“. Die Unsitte, bei der Kollekte einen Knopf einzuwerfen, ist also keine Erfindung der modernen Zeit!
Moderner Nachfolger der Handwerkerstühle
Heutzutage gibt es elektronische Klingelbeutel, bei denen man seine Kollekte bargeldlos mittels Kredit- oder EC-Karte „einwerfen“ kann. Auch bei uns steht ein solcher „Kollektomat“ am Ausgang, wo Sie ganz einfach für unsere Kirche eine Spende zwischen 1 und 999 Euro veranlassen können. Versuchen Sie es doch einmal!
Erhaltene Handwerkerstühle in St. Lorenz
Von ursprünglich 41 Nürnberger Almosenstühlen haben sich 16 erhalten, die meisten aus der Barockzeit. Zehn davon stehen in der Lorenzkirche.
Schreiner, ohne Jahresangabe (Renaissance?)
Messerschmiede, 1647
Ohne Insignien, 1663
Rotgießer (Messinggießer), 1664
Schwarz- und Weißbüttner, 1669
Pfragner (Gemischtwarenhändler), 1680
Huf- und Wagenschmiede, 1698
Tuchmacher, 1698
Kannengießer (Zinngießer), um 1700
Rotgerber (Lederer) 1708